· Fachbeitrag · Rechtsprechungsübersicht
Die wichtigsten Entscheidungen der Finanzgerichte zum Steuerstrafrecht 2010
von StA Markus Ebner, LL. M., Erlangen/Karlsruhe, Mitarbeiter am Lehrstuhl für StrafR, StrafprozessR und WirtschaftsstrafR, Universität Erlangen-Nürnberg
| Die vielfältigen Verbindungen, die das Straf- und Steuerrecht miteinander eingehen, spiegeln sich zum einen in den unmittelbar an strafrechtliche Fragestellungen anknüpfenden Steuerrechtsnormen der AO (§§ 71, 169 Abs. 2 S. 2, 171 Abs. 5, 7, 173 Abs. 2 und 235) wieder; zum anderen weist das zentrale Blankett des § 370 AO das Abgabenstrafrecht als durchweg steuerrechtsakzessorisch aus. Diese Konnexität gilt es auf Seiten des Rechtsanwenders im Auge zu behalten. Mit einem Jahresrückblick will dieser Beitrag, wie schon in den Jahren zuvor ( PStR 08, 119 ; PStR 09, 258 ; PStR 10, 272 ), den Blick auf die im Strafrecht bisweilen vernachlässigte Steuerstrafrechtsprechung der Finanzgerichte lenken. |
Rechtsprechungsübersicht / Die wichtigsten Entscheidungen der Finanzgerichte 2010 | |
FG Rheinland-Pfalz 21.1.10,4 K 1507/09,PStR 10, 161,Abruf-Nr. 100727 | Kindergeldhinterziehung bei - verschuldetem - Doppelbezug Ein Kindergeldberechtigter begeht eine Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn er durch irreführende Angaben und durch das Verschweigen eines bei einer anderen Familienkasse gestellten Antrags die Festsetzung und Zahlung von Kindergeld für ein und dasselbe Kind durch zwei Familienkassen erreicht. Eine Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht auch, wer es pflichtwidrig unterlässt, die beteiligten Familienkassen über die für ihn erkennbare Doppelfestsetzung und -zahlung von Kindergeld in Kenntnis zu setzen (Braun, PStR 08, 37). |
Niedersächsisches FG 17.2.10,4 K 12199/06,juris,Abruf-Nr. 113680 | Steuerhinterziehung durch unvollständige, widersprüchliche und verspätete Angaben im Besteuerungsverfahren
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FG Düsseldorf 18.2.10,8 K 4290/06 H,EFG 10, 998,Abruf-Nr. 113681, nicht rechtskräftig, Az. BFH: VIII R 24/10 | Haftung (§ 70 AO) einer Bank bei anonymisiertem Kapitaltransfer ins Ausland Geht das FA auf Grundlage von Wahrscheinlichkeitsaussagen von einer Hinterziehung von Kapitaleinkünften bei 1.149 nicht identifizierten Kunden, die Bargeld oder Wertpapiere über eine Bank ohne Legitimationsprüfung anonym zu deren Auslandstöchtern transferiert haben, aus, genügt dies nicht, um die Bank gemäß § 70 AO in Haftung zu nehmen. |
FG Baden-Württemberg 10.3.10, 11 K 62/10,EFG 10, 1095,Abruf-Nr. 102823 | Hinterziehungszinsen Die Höhe des Hinterziehungszinssatzes von 0,5 % pro Monat (§ 235 AO i.V. mit § 238 Abs. 1 S. 1 AO) ist verfassungsgemäß. Die - gegebenenfalls lange - Verfahrensdauer bleibt bei der Festsetzung der Hinterziehungszinsen außer Betracht. |
FG München 16.3.10,6 K 4923/06,EFG 10, 1250, Abruf-Nr. 113682 | Spezialitätsvorbehalt (Schweiz) im Besteuerungs- und finanzgerichtlichen Verfahren
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FG Hamburg 11.5.10,4 K 263/09,juris,Abruf-Nr. 103707 | Hinterziehungsvorsatz (Steueranspruchstheorie) Der Steuerhinterziehungsvorsatz scheidet dann aus, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund einer unzutreffenden steuerrechtlichen Subsumtion verborgen geblieben ist, dass er den Steueranspruch verkürzt. |
Saarländisches FG 26.5.10,2 K 1593/08,EFG 11, 254,Abruf-Nr. 113683 | Keine Kindergeldhinterziehung bei - unverschuldetem - Doppelbezug (Abgrenzung zu FG Rheinland-Pfalz PStR 10, 161) Die bloße - unberechtigte - Entgegennahme eines von der Familienkasse aufgrund eines „mechanischen Fehlers“ doppelt ausbezahlten Kindergeldes verwirklicht mangels Handlungspflicht des Empfängers weder den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) noch den Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO). |
FG München 22.6.10,14 K 4247/07,juris,Abruf-Nr. 113684 | Haftung (§ 71 AO) bei TabSt-Hinterziehung (Abladehelfer) Hat jemand als Täter oder Teilnehmer (hier: Beihilfe zur TabSt-Hinterziehung durch „bloßes“ Abladen von Schmuggelzigaretten) eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall billig und gerecht, wenn ihn die Finanzverwaltung für den Steuerschaden (hier: 137.163,38 EUR) in Anspruch nimmt. Sie würde - im Gegenteil - ihr Auswahlermessen fehlerhaft ausüben, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme freistellte. |
FG Baden-Württemberg 15.9.10,14 K 5903/08,juris,Abruf-Nr. 113685 | Hinterziehungsvorsatz (Rechnungsstellung auf Geheiß) Stellt ein Unternehmer unter seiner Firma auf Geheiß seines Vaters Rechnungen über Goldgeschäfte mit USt-Ausweis aus, ohne dass er die Rechnungstellung näher hinterfragt, handelt er bei Nichterklärung der Umsätze vorsätzlich i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er Kenntnis davon hat, dass eine in Rechnung gestellte USt an das FA abzuführen ist. |
FG Münster 1.10.10,11 K 3544/07 E,juris,Abruf-Nr. 113686 | Strafverteidigerkosten als Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastung Im Fall des Vorwurfs der Beihilfe zur Steuerhinterziehung können Strafverteidigerkosten nicht als Werbungskosten geltend gemacht werden, wenn zwischen den begangenen strafbaren Handlungen und den Einkünften kein Veranlassungszusammenhang besteht. Aufwendungen für Strafverteidigung können gemäß § 33 EStG auch als außergewöhnliche Belastung nur dann berücksichtigt werden, wenn sie dem Steuerpflichtigen „zwangsläufig“ entstanden sind. Bei einer vorsätzlich zu den Straftaten eines Dritten geleisteten Beihilfe kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Steuerpflichtige i.S. des § 33 Abs. 2 EStG der Straftat aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht habe entziehen können. |
FG München 25.10.10,14 V 2475/10,juris,Abruf-Nr. 113687 | Keine Steuerhinterziehung durch Vortrag unrichtiger Rechtsauffassung Eine Steuerhinterziehung kann nicht allein dadurch begangen werden, dass der Finanzbehörde eine unrichtige Rechtsauffassung vorgetragen und von dieser zu Unrecht übernommen wird. |
FG Münster 24.11.10,8 K 4132/07,juris,Abruf-Nr. 113688 | Steuerhinterziehung bei Unterverbriefung eines Grundstücks; keine Bindung an Einstellung (§ 153a StPO); Haftung (§ 71 AO) auch bei Wahlfeststellung
Literaturhinweis: Bülte, NStZ 09, 57 |
FG Hamburg 7.12.10,4 K 135/10,PStR 11, 116,Abruf-Nr. 111187 | Leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) durch StB Für eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) kommt es nicht darauf an, wer dies getan hat (hier: StB). Wenn das Mandat eines StB nicht nachweislich auch die verbrauchsteuerliche Beratung (hier: EnergieSt) umfasst und es während der etwa 40-jährigen Mandatsbeziehung nie zu verbrauchsteuerlichen Fragestellungen gekommen ist, kann es allenfalls als leicht fahrlässig und nicht als leichtfertig angesehen werden, wenn ein StB eine sich aus zur Verbuchung überlassenen Beträgen ersichtliche verbrauchsteuerliche Problematik (hier: Steuerpflichtigkeit des Verbringens von Biodiesel und Pflanzenöl aus dem freien Verkehr Dänemarks in die BRD) übersieht (Ebner, PStR 08, 240). |
FG Köln 15.12.10,14 V 2484/10,DStRE 11, 1076,Abruf-Nr. 111875 | Kein steuerliches Verwertungsverbot für Steuerdaten-CDs Daten aus einer von den Ermittlungsbehörden angekauften, im Ausland (hier: Schweiz) illegal beschafften CD sind im Besteuerungsverfahren verwertbar (Matthes/Rau, PStR 11, 168). |
Rechtsprechungsübersicht / Die wichtigsten Entscheidungen des BFH 2010 | |
BFH 3.2.10,VIII B 164/09,PStR 10, 159,Abruf-Nr. 101403 | Hemmung der Festsetzungsverjährung (§ 171 Abs. 5 AO) durch schriftliches Auskunftsverlangen der Steufa; Fortbestehen der Selbstanzeigemöglichkeit Ein schriftliches Auskunftsverlangen der Steufa mit der Aufforderung, bestimmte Unterlagen über ausländische Konten und Depots vorzulegen, hemmt als Ermittlungsmaßnahme den Ablauf der Festsetzungsverjährung. Der Eintritt der Straffreiheit (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 AO) wird dagegen nicht bereits durch den Beginn von Ermittlungshandlungen i.S. von § 171 Abs. 5 AO ausgeschlossen. |
BFH 9.3.10,VIII R 50/07,BFHE 228, 400 =PStR 10, 158,Abruf-Nr. 101596 | Sperrwirkung wegen Erscheinen des Amtsträgers (§ 7 S. 1 Nr. 1a StraBEG) Auch bei Prüfungen an Amtsstelle ist der Ausschluss der Strafbefreiung oder Bußgeldbefreiung nach § 7 S. 1 Nr. 1a StraBEG möglich. Der Amtsträger (hier: Prüfer) „erscheint“ beim Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter auch dann, wenn im FA ein persönlicher Kontakt stattfindet, der nach außen erkennbar macht, dass der Amtsträger mit der Außenprüfung beginnt. |
BFH 30.3.10,VII B 182/09,BFH/NV 10, 1507,Abruf-Nr. 113689 | Subjektiver Tatbestand (§ 370 AO): Beweislast im finanzgerichtlichen Verfahren Der Grundsatz, dass die Finanzbehörde die Feststellungslast für die steuerbegründenden Tatsachen (hier: subjektiver Tatbestand der Steuerhinterziehung) trägt, ist eine Beweislastregel, deren Anwendung Zweifel des Gerichts voraussetzt. |
BFH 21.4.10,X R 1/08,BFHE 229, 49,Abruf-Nr. 101955 | Eintritt der Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 9 AO) bei Selbstanzeige Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO beginnt, wenn die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann, der Steuerpflichtige also Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird. |
BFH 30.6.10, II R 11/09,BFH/NV 10, 2026,Abruf-Nr. 113690; II R 14/09,BFH/NV 10, 2002,Abruf-Nr. 113691 | Anforderungen an finanzgerichtliche Feststellung des Hinterziehungsvorsatzes Für die Annahme des Vorsatzes bei einer Steuerhinterziehung reicht es aus, wenn der Täter die Verwirklichung der Merkmale des objektiven Tatbestands zumindest billigend in Kauf nimmt und im Wege einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkennt. |
BFH 5.8.10,V R 13/09,PStR 11, 56,Abruf-Nr. 110134 | Besteuerung und Haftung (§ 71 AO) bei USt-Karussell
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BFH 20.8.10,IX B 41/10,PStR 11, 87,Abruf-Nr. 110049 | Verlängerte Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO) bei Steuerhinterziehung durch (nur) einen Ehegatten Die Festsetzungsfrist wird bei Eheleuten auch dann wegen Steuerhinterziehung verlängert (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO), wenn (nur) einem der zusammenveranlagten Ehegatten eine Steuerhinterziehung vorzuwerfen ist. |
BFH 20.8.10,VIII B 30/09,BFH/NV 10, 2233,Abruf-Nr. 113692 | Keine Änderungssperre (§ 173 Abs. 2 AO) aufgrund Fahndungsprüfung Es ist höchstrichterlich geklärt, dass eine Steuerfahndungsprüfung keine Außenprüfung i.S. des § 173 Abs. 2 AO ist. Steuerbescheide, die aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung gemäß § 208 Abs. 1 AO ergehen, unterliegen deshalb nicht der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO. |
BFH 14.9.10,IV B 61/09,PStR 11, 33,Abruf-Nr. 110132 | Eintritt der Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 5 AO) bei Selbstanzeige
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BFH 29.12.10,IV B 46/09,BFH/NV 11, 634,Abruf-Nr. 111692 | Außenprüfungsanordnung zur Feststellung einer Steuerhinterziehung Die Anordnung einer Außenprüfung ist auch zulässig, soweit ausschließlich festgestellt werden soll, ob und inwieweit Steuerbeträge hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind. Eine sich insoweit gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung besteht nicht. |